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  • EKG-Interpretation für Notfallsanitäter: Diese Muster musst du erkennen können

    EKG-Interpretation für Notfallsanitäter: Diese Muster musst du erkennen können

    Als Notfallsanitäter gehört die Beurteilung eines EKGs zu deinen wichtigsten Kompetenzen im Rettungsdienst. In kritischen Situationen entscheidet deine Fähigkeit, lebensbedrohliche EKG-Veränderungen schnell zu erkennen, über den weiteren Behandlungsverlauf – und manchmal sogar über Leben und Tod eines Patienten. In diesem Artikel zeigen wir dir die essentiellen EKG-Muster, die du sicher interpretieren können musst, und geben dir praktische Tipps für die Prüfungsvorbereitung.

    Warum EKG-Interpretation für Notfallsanitäter unverzichtbar ist

    Im Rettungsdienst steht dir nicht immer sofort ein Notarzt zur Seite. Als Notfallsanitäter trägst du Verantwortung für:

    • Die Früherkennung akuter Herz-Kreislauf-Notfälle
    • Die Einleitung lebensrettender Maßnahmen
    • Die richtige Vorinformation des Notarztes oder der Zielklinik
    • Die Erkennung von Veränderungen im Verlauf

    Praxis-Tipp: Entwickle eine Routine für die EKG-Interpretation im Einsatz. Eine systematische Herangehensweise reduziert die Gefahr, wichtige Veränderungen zu übersehen, auch unter Stress und Zeitdruck.

    Die systematische EKG-Analyse: So gehst du vor

    Bei jedem EKG – ob in der Prüfung oder im Einsatz – solltest du nach einem festen Schema vorgehen:

    1. Technische Beurteilung und Rahmendaten

    • Ist die Eichung korrekt? (10 mm = 1 mV)
    • Ist die Papiergeschwindigkeit korrekt? (meist 50 mm/s in Deutschland)
    • Störeinflüsse (Muskelzittern, Wechselstromartefakte)
    • Sind alle Ableitungen vorhanden und beschriftet?

    2. Herzfrequenz bestimmen

    • Schnelle Methode: 300 geteilt durch Anzahl der großen Kästchen (0,2 s) zwischen zwei R-Zacken
    • Bei unregelmäßigem Rhythmus: Anzahl der QRS-Komplexe in 6 Sekunden × 10

    3. Herzrhythmus prüfen

    • Regelmäßig oder unregelmäßig?
    • Falls unregelmäßig: Ist die Unregelmäßigkeit regelmäßig oder völlig chaotisch?

    4. Erregungsursprung und -leitung beurteilen

    • P-Wellen vorhanden? Morphologie? Beziehung zu QRS?
    • PQ-Zeit (normal 120-200 ms)
    • QRS-Breite (normal < 120 ms)
    • QT-Zeit (geschlechts- und frequenzabhängig)

    5. Lagetyp bestimmen

    • Blick auf Extremitätenableitungen I, II, III
    • Hauptvektor des QRS-Komplexes (normal: Steiltyp oder Indifferenztyp)

    6. Repolarisation beurteilen

    • ST-Strecken (Hebungen, Senkungen)
    • T-Wellen (Höhe, Form, Polarität)

    7. Zusätzliche Auffälligkeiten erkennen

    • Pathologische Q-Zacken
    • Erregungsrückbildungsstörungen
    • Zeichen der Hypertrophie

    Prüfungs-Tipp: Trainiere diese Systematik an möglichst vielen EKG-Beispielen. Arbeite mit echten Ausdrucken, nicht nur mit Büchern oder Screenshots. Das haptische Erlebnis kommt der Prüfungssituation viel näher.

    Die 10 wichtigsten EKG-Muster für Notfallsanitäter

    1. Sinusrhythmus: Die Grundlage jeder EKG-Interpretation

    Erkennungsmerkmale:

    • Regelmäßige Herzaktion mit 60-100 Schlägen/min
    • Positive P-Welle in Ableitung I und II
    • PQ-Zeit konstant zwischen 120-200 ms
    • Jeder P-Welle folgt ein QRS-Komplex

    Klinische Bedeutung:

    • Normalbefund
    • Baseline für die Erkennung von Abweichungen

    Merkhilfe: Denke an ein perfekt geführtes Orchester mit dem Sinusknoten als Dirigenten.

    2. Sinusbradykardie und Sinustachykardie: Wenn der Takt zu langsam oder zu schnell wird

    Erkennungsmerkmale Bradykardie:

    • Sinusrhythmus mit < 60 Schlägen/min
    • Ansonsten normale EKG-Morphologie

    Erkennungsmerkmale Tachykardie:

    • Sinusrhythmus mit > 100 Schlägen/min
    • P-Wellen können in T-Wellen versteckt sein

    Klinische Bedeutung:

    • Bradykardie: Physiologisch bei Sportlern, aber auch bei AV-Blockierungen, Sinusknotenerkrankungen, Hypothermie, erhöhtem Hirndruck, Medikamentenwirkung
    • Tachykardie: Physiologisch bei Stress/Anstrengung, aber auch bei Fieber, Schock, Blutverlust, Herzinsuffizienz, Hyperthyreose

    Praxis-Tipp: Beurteile Bradykardie und Tachykardie immer im klinischen Kontext! Eine Herzfrequenz von 45/min kann beim schlafenden Sportler normal, beim Schockpatienten jedoch bedrohlich sein.

    3. Absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern: Chaos im Vorhof

    Erkennungsmerkmale:

    • Keine erkennbaren P-Wellen, stattdessen Flimmerwellen
    • Völlig unregelmäßige Kammeraktionen
    • QRS-Komplexe meist schmal (bei reiner Erregungsleitungsstörung)
    • „Unordentliches“ EKG-Bild

    Klinische Bedeutung:

    • Häufigste anhaltende Herzrhythmusstörung
    • Thromboembolierisiko
    • Möglicher Hinweis auf strukturelle Herzerkrankungen
    • Kann hämodynamisch relevant werden bei schneller Überleitung

    Merkhilfe: Stelle dir ein Orchester vor, in dem alle Violinen (Vorhöfe) gleichzeitig verschiedene Stücke spielen, während die Pauken (Kammern) versuchen, irgendwie mitzuhalten.

    4. Vorhofflattern: Wenn der Vorhof zu schnell marschiert

    Erkennungsmerkmale:

    • Sägezahnartige Flatterwellen mit einer Frequenz von 250-350/min
    • Meist regelmäßige Kammeraktion bei festem Überleitungsverhältnis (oft 2:1 oder 4:1)
    • Typische „Treppenform“ in den Ableitungen II, III, aVF

    Klinische Bedeutung:

    • Kann in Vorhofflimmern übergehen und umgekehrt
    • Häufig bei strukturellen Herzerkrankungen
    • Thromboembolierisiko ähnlich wie bei Vorhofflimmern

    Merkhilfe: Im Gegensatz zum chaotischen Vorhofflimmern ist Flattern wie ein zu schnell marschierender Soldatentrupp – geordnet, aber mit zu hohem Tempo.

    5. AV-Blockierungen: Wenn die Kommunikation gestört ist

    AV-Block I°

    • Verlängerte PQ-Zeit > 200 ms
    • Jede P-Welle wird übergeleitet

    AV-Block II° Typ Wenckebach

    • Progressiv zunehmende PQ-Zeit bis Ausfall eines QRS-Komplexes
    • Rhythmische „Gruppenschläge“

    AV-Block II° Typ Mobitz

    • Konstante PQ-Zeit mit plötzlichem Ausfall eines QRS-Komplexes
    • Gefährlicher als Typ Wenckebach!

    AV-Block III° (kompletter AV-Block)

    • Keine Beziehung zwischen P-Wellen und QRS-Komplexen
    • Langsamer Ersatzrhythmus aus dem His-Bündel oder den Kammern
    • P-Wellen „marschieren“ durch das EKG

    Klinische Bedeutung:

    • AV-Block I°: Meist harmlos, kann Vorbote höhergradiger Blockierungen sein
    • AV-Block II° Typ Wenckebach: Kann medikamentös, entzündlich oder ischämisch bedingt sein
    • AV-Block II° Typ Mobitz: Meist strukturelle Herzerkrankung, oft Schrittmacherindikation
    • AV-Block III°: Notfall! Gefahr der Asystolie, temporärer oder permanenter Schrittmacher notwendig

    Praxis-Tipp: Bei jedem neu aufgetretenen höhergradigen AV-Block solltest du an einen akuten Myokardinfarkt denken, besonders bei Rechtsherzinfarkt!

    6. Schenkelblockbilder: Wenn die Erregungsleitung gestört ist

    Linksschenkelblock (LSB)

    • Verbreiterter QRS-Komplex > 120 ms
    • Typisches „M-Muster“ in V5/V6
    • R-Progression verschoben
    • Sekundäre ST-Strecken- und T-Wellen-Veränderungen

    Rechtsschenkelblock (RSB)

    • Verbreiterter QRS-Komplex > 120 ms
    • Typisches „rSR‘-Muster“ in V1
    • Breite S-Zacken in I und V6
    • Oft weniger ausgeprägte ST-T-Veränderungen als beim LSB

    Klinische Bedeutung:

    • LSB: Häufig Hinweis auf strukturelle Herzerkrankung (KHK, Herzinsuffizienz), erschwert Infarktdiagnostik!
    • RSB: Kann Normvariante sein, aber auch bei Lungenembolie, Rechtsherzbelastung, ASD

    Praxis-Tipp: Ein neu aufgetretener LSB kann Ausdruck eines akuten Myokardinfarkts sein und sollte wie ein STEMI behandelt werden!

    7. Ventrikuläre Extrasystolen: Unerwünschte Extraschläge

    Erkennungsmerkmale:

    • Vorzeitige, breite QRS-Komplexe (> 120 ms)
    • Keine vorausgehende P-Welle
    • Oft tiefe S-Zacke in V5/V6
    • Meist kompensatorische Pause danach

    Klinische Bedeutung:

    • Einzelne VES: Häufig harmlos, können bei Herzgesunden auftreten
    • Gehäufte VES, Bigeminus, Couplets, Salven: Hinweis auf strukturelle Herzerkrankung
    • R-auf-T-Phänomen: Gefahr des Kammerflimmerns

    Praxis-Tipp: Achte auf VES-Morphologie (monomorph/polymorph), Häufigkeit und Koppelungsintervall für die Risikoeinschätzung.

    8. Kammertachykardie (VT): Ein echte Notfall

    Erkennungsmerkmale:

    • Breite QRS-Komplexe (> 120 ms) in schneller Folge (meist > 150/min)
    • AV-Dissoziation möglich (unabhängige P-Wellen)
    • Monomorphe oder polymorphe Erscheinung
    • Cannon-A-Wellen am Jugularvenenpuls

    Klinische Bedeutung:

    • Immer behandlungsbedürftig!
    • Kann in Kammerflimmern übergehen
    • Hämodynamische Instabilität häufig
    • Unterscheidung von supraventrikulärer Tachykardie mit aberranter Leitung oft schwierig

    Notfall-Management:

    • Bei instabilem Patienten: Sofortige Kardioversion
    • Bei stabilem Patienten: Amiodaron oder Procainamid
    • Vermeidung von Verapamil (kann bei VT zum kardiovaskulären Kollaps führen!)

    Merkhilfe: Eine VT sieht aus wie ein „Rattenschwanz“ – viele breite, fast gleichförmige Ausschläge in schneller Folge.

    9. ST-Hebungsinfarkt (STEMI): Zeit ist Muskel

    Erkennungsmerkmale:

    • ST-Hebungen ≥ 0,1 mV in mindestens zwei zusammenhängenden Ableitungen
    • Spiegelbildliche ST-Senkungen in gegenüberliegenden Ableitungen
    • Später: Entwicklung von Q-Zacken und T-Negativierungen
    • Lokalisation:
      • Vorderwandinfarkt: V1-V6
      • Hinterwandinfarkt: ST-Senkungen in V1-V3, ST-Hebungen in zusätzlichen Ableitungen V7-V9
      • Inferiorer Infarkt: II, III, aVF
      • Lateraler Infarkt: I, aVL, V5-V6
      • Rechtsherzinfarkt: ST-Hebung in V4R

    Klinische Bedeutung:

    • Akuter Verschluss einer Koronararterie
    • Schnellstmögliche Reperfusion notwendig
    • Bei Rechtsherzinfarkt: Vorsicht mit Nitraten und Volumenbelastung beachten
    • Bei Hinterwandinfarkt: Auf AV-Blockierungen achten

    Praxis-Tipp: Lerne die „Infarkt-Muster“ für verschiedene Koronarien – jeder Infarkt hinterlässt seine typische Signatur im EKG.

    10. Elektromechanische Entkopplung und Asystolie: Die kritischsten Rhythmen

    Erkennungsmerkmale EMD/PEA:

    • Elektrische Aktivität im EKG (oft breite QRS-Komplexe)
    • Fehlender Puls und fehlende Herzaktion
    • Oft Bradykardie mit zunehmender Verbreiterung der QRS-Komplexe

    Erkennungsmerkmale Asystolie:

    • Keine elektrische Aktivität („Nulllinie“)
    • Überprüfung mehrerer Ableitungen notwendig
    • Ausschluss technischer Probleme

    Klinische Bedeutung:

    • Reanimationspflichtige Situationen
    • PEA: Reversible Ursachen suchen (4 H’s und HITS)
    • Asystolie: Schlechteste Prognose aller Rhythmusstörungen

    Notfall-Management:

    • Hochqualitative CPR
    • Adrenalin alle 3-5 Minuten
    • Behandlung der Grundursache

    Praxis-Tipp: Bei jeder „Nulllinie“ im Monitor: Immer erst Artefakt ausschließen! Verbindungen prüfen, andere Ableitung wählen, Defibrillator-Paddles als Diagnostikum nutzen.

    Typische Fehlerquellen in der Prüfung

    Bei der EKG-Interpretation können folgende Fehler auftreten:

    1. Fokussieren auf eine Auffälligkeit bei Übersehen einer anderen

    Vermeidungsstrategie: Systematisch jedes EKG nach dem oben beschriebenen Schema durchgehen, auch wenn dir sofort etwas ins Auge springt.

    2. Fehlinterpretation bei technischen Problemen

    Vermeidungsstrategie: Immer zuerst die technischen Aspekte beurteilen (Eichung, Ableitungen, Artefakte).

    3. Verwechslung ähnlicher EKG-Bilder

    Vermeidungsstrategie: Lerne die Unterscheidungsmerkmale häufig verwechselter EKG-Bilder:

    • Supraventrikuläre vs. ventrikuläre Tachykardie
    • Frühe Repolarisation vs. Perikarditis vs. STEMI
    • Linksschenkelblock vs. Kammerhypertrophie

    4. Überbewertung unspezifischer Veränderungen

    Vermeidungsstrategie: Korreliere EKG-Befunde immer mit der Klinik des Patienten. Nicht jede T-Wellen-Veränderung ist ein Infarkt!

    Lernstrategien für die EKG-Interpretation

    Um in der Prüfung und im Einsatz souverän EKGs zu interpretieren, empfehle ich folgende Lernstrategien:

    1. Systematisches Lernen der Grundlagen

    Bevor du komplexe Pathologien angehst, solltest du folgende Basics beherrschen:

    • Normale EKG-Abschnitte und ihre Bedeutung
    • Normwerte für Zeiten und Amplituden
    • Ableitungssysteme und ihre anatomische Zuordnung

    2. Pattern-Recognition-Training

    Trainiere dein Auge für typische EKG-Muster:

    • Sammle EKG-Beispiele in einer persönlichen „Bibliothek“
    • Übe mit Blitz-Erkennungskarten (vorne EKG, hinten Diagnose)
    • Nutze Apps mit EKG-Quizfunktionen

    3. Von der Physiologie zur Pathologie

    Verstehe, wie physiologische Veränderungen zu EKG-Veränderungen führen:

    • Wie beeinflussen elektrische Verzögerungen die Kurvenform?
    • Wie wirken sich Ischämien auf die Repolarisation aus?
    • Wie entstehen Ersatzrhythmen?

    4. Klinische Szenarien durchspielen

    Verbinde EKG-Befunde mit klinischen Präsentationen:

    • „Welches EKG erwartest du bei einem 60-jährigen mit Brustschmerz und Atemnot?“
    • „Welche Differentialdiagnosen kommen bei ST-Hebung in II, III, aVF in Frage?“
    • „Wie verändert sich das EKG im Zeitverlauf nach einem STEMI?“

    5. Gemeinsam lernen

    Der Austausch mit Kollegen ist unschätzbar wertvoll:

    • Organisiere EKG-Lerngruppen
    • Diskutiere EKGs aus deinen Einsätzen
    • Hole Feedback von erfahrenen Kollegen oder Notärzten

    Prüfungs-Tipp: In der mündlichen Prüfung solltest du nicht nur das EKG korrekt interpretieren, sondern auch die klinischen Konsequenzen erläutern können: „Bei diesem STEMI der Vorderwand würde ich folgende Maßnahmen einleiten…“

    Fazit: Übung macht den Meister

    Die sichere EKG-Interpretation ist keine angeborene Fähigkeit, sondern das Ergebnis systematischen Lernens und vieler geübter Fälle. Beginne frühzeitig in deiner Ausbildung mit der regelmäßigen EKG-Analyse und nutze jede Gelegenheit, deine Interpretation von erfahrenen Kollegen überprüfen zu lassen.

    Denke daran: Im Notfall kann deine Fähigkeit, ein kritisches EKG-Muster zu erkennen, den entscheidenden Zeitvorteil für eine lebensrettende Therapie bringen. Investiere daher Zeit in diese Schlüsselkompetenz – deine zukünftigen Patienten werden es dir danken.


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